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DR. TOBIAS GÜTHNER
Stadtmuseum Weilheim Einführung Ausstellung Nosch 8.7.2023
Sehr geehrte Damen und Herren, ich darf Sie auch ganz herzlich von Seiten des Museums zur Ausstellungseröffnung von Günter Nosch im Stadtmuseum begrüßen. Es wurde ja schon der Titel dieser Ausstellung angesprochen: Musik für Einstein.
In den Arbeiten des Künstlers nehmen, wie wir noch sehen werden, Worte und Wörter, einen äußerst wichtigen Platz ein, weswegen ich den Titel erst einmal auch ganz Wörtlich nehmen will.
Musik als künstlerische und ästhetische Ausdrucksform und der wohl berühmteste Naturwissenschaftler der Welt das hört sich nach Gegensätzen an. Aber wir wissen oder ahnen es schon Albert Einstein wäre nicht Albert Einstein gewesen, wenn er nicht auch einen Bezug zur Musik gehabt hätte. Er spielte Geige und Klavier, war ein großer Mozart und Bach Fan und gab während des Krieges sogar einmal ein öffentliches Benefiz-Konzert.
Sehr überrascht habe ich dann bei meiner Google-Recherche zum Thema Einstein und Musik aber festgestellt, dass es noch eine weitere Person mit Namen Einstein gab, die einen noch viel engeren Bezug zur Musik hatte: Nämlich einen Alfred Einstein. Dieser war in den 20er und 30er Jahren Musikkritiker mehrerer Münchner Zeitungen und hoffte jahrelang vergebens auf eine Professur in Musikgeschichte, die ihm aufgrund des grassierenden Antisemitismus der damaligen Zeit aber verwehrt blieb. Mit dem späteren Nobelpreisträger Albert Einstein sang Alfred im Schulchor des Münchner Luitpoldgymnasiums und wahrscheinlich waren die beiden sogar miteinander verwandt.
Hat der Künstler hier also mit seinem Titel eine "falsche Fährte" gelegt, um einem wohlwollenden Publikum und einem ahnungslosen Museumsleiter einen Albert für einen Alfred unterzujubeln?
Wie Sie schon merken, mit einer allzu wörtlichen Exegese des Titels kommen wir erst einmal nicht weiter, wenn wir uns ein Bild dieser Ausstellung und der Arbeitsweise des Künstlers machen wollen.
Aber mit dem Begriff "Fährten legen" sind wir doch schon bei einem zentralen Motiv in der Kunst von Günter Nosch angelangt. Das "Fährten Legen" ist nämlich eine seiner Spezialitäten. Und das in dem Sinne, dass er in vielen seiner Arbeiten mit den Sehgewohnheiten und insbesondere mit den Erwartungshaltungen der Betrachtenden arbeitet. Unser menschliches Gehirn ist ja so gepolt, dass es versucht alle visuellen Reize sofort zu vergleichen, zu sortieren und einzuordnen, sprich: zu systematisieren. Mit dieser Fähigkeit haben wir in den letztem 100.000 Jahren ja auch tatsächlich den einen oder anderen überlebensnotwenigen Treffer gelandet und gelernt Säbelzahntigern und andere evolutionären Sackgassen aus dem Weg zu gehen - aber oft führt uns dieses Schubladedenken auch in die Irre.
Aber gerade dieses Irren ist nicht automatisch ein Fehltritt oder eine Sackgasse, sondern kann ganz im Gegenteil neue Pfade eröffnen, neue Sichtweisen befördern und neue Erkenntnisse bringen. Weil eine Irritation uns genauer hinsehen lässt und uns auch eher dazu bringt, über das Gesehene bzw. den Vorgang des Sehens und Erkennens selbst nachzudenken.
Und auf diese neuen Pfade nimmt der Künstler uns mit, indem er sich Systemen bedient, die uns allen geläufig sind und auf die unser Gehirn sofort anspringt.
Es sind Schriftsysteme, Sprachsysteme, Ordnungs- und Klassifizierungssysteme, die er als Ausdrucksformen einsetzt und in ihrer Gesamtheit, ihren gegenseitigen Einflüssen, Überschneidungen und Kontrasten, in das verwandelt, was er selbst als "poetische Systeme" bezeichnet.
Bevor wir uns einigen dieser Systeme zuwenden, möchte ich ihnen aber noch kurz etwas über das Atelier des Künstlers erzählen. Das Atelier spielt für seine Kunst eine große Rolle. Diese Aussage hört sich erst einmal nach einer schrecklichen Plattitüde an, denn Ateliers sind für Künstler natürlich per se wichtige Orte. In diesem Fall hat die Aussage aber doch noch eine tiefere Bedeutung. Viele Werke von Günter Nosch entstehen nämlich nicht nur im Atelier, sondern gewissermaßen auch mit dem Atelier oder vielleicht sogar durch das Atelier. In einem Buch über den Künstler findet sich ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker und Theologen Ulrich Schäfert, in dem auch dem Atelier die Qualität eines eigenen "poetischen Systems" zugeschrieben wird. Doch durch die Zeilen dieses Interwies schimmert noch eine weitere Bedeutungsebene durch. Noschs Atelier scheint nämlich nicht nur eine geistige Systemanordnung zu sein, sondern unter Umständen sogar ein ganz eigener Organismus. Parallel zur gerade viel diskutierten Künstlichen Intelligenz also eine Art künstlerische Intelligenz, die in der Lage ist ohne die bewusste Intention des Künstlers zu agieren. Zum Glück jedoch scheint dieser Atelierorganismus kein parasitäres Konzept zu verfolgen, das sich auf Kosten des Künstlers an dessen Arbeit nährt und in zunehmend schwächt, sondern offensichtlich ist es eine extrem symbiotische Daseinsform, die sich hier an den Ateliernutzer angedockt hat. Das zeigt sich daran, dass sich im Atelier Dinge materialisieren, über die der Künstler verwundert stolpert und die er dann in seinen Werken verarbeitet. Zum Beispiel Farbe, die in der Tube eintrocknet ist, um schließlich heraus zu bröckeln und Zeichen auf dem Arbeitstisch zu hinterlassen, die er aufgreifen, ordnen und wiederum in ein ganz eigenes System bringen kann.
Diese Systeme triggern dann sofort die Gehirne der Betrachter. In Formen suchen wir automatisch nach Zeichen - und Zeichen müssen einen Sinn ergeben, eine Botschaft für uns bereithalten. Für solche Zeichen, die uns etwas sagen, die in unterschiedlichen Kombinationen unterschiedliche Aussagen ergeben, haben wir Menschen unter anderem die Schrift erfunden: von der Keilschrift und den Hieroglyphen bis zu chinesischen Schriftzeichen oder unserer Buchstabenschrift. Und dieses Erscheinungsbild der Schrift kommt bei den hier ausgestellten Werken in zahlreichen Varianten vor. Nosch schreibt jedoch nicht mit Buchstaben, er meißelt keine Hieroglyphen und kalligraphiert auch keine Schriftzeichen. Seine Schriften sind objekthaft und können aus den unterschiedlichsten Materialien bestehen. Ihnen allen gemein ist jedoch, dass sie aus gefunden Dingen zusammengesetzt sind. Ein altes Kabel erinnert an Schreibschrift, während Drähte, getrocknete Farbbruchstücke, Leimreste und andere Dinge zu Zeichen und Buchstaben noch unbekannter Schriftsysteme werden. Während man bei geschriebenen Texten oft zwischen den Zeilen lesen muss, um alle Nuancen zu begreifen, fordert Noschs Kunst uns sogar dazu auf, hinter den Zeilen zu lesen. Denn seine Zeichen können im Bildträger verschwinden und laufen in welcher Form auch immer unseren Augen verborgen, weiter, um dann wieder aufzutauchen. In einem anderen Fall sehen wir zwar sehr deutlich die orange Form, doch das Zeichensystem, in welches sie eingebettet ist, können wir nur unscharf wahrnehmen, da eine Plexiglasscheibe uns den klaren Durchblick verwehrt und wir die Dinge und Formen eher erahnen als erkennen.
Besonders verdichtet wird das Zusammenspiel zwischen Objekt und Schrift in den Arbeiten aus der Reihe "Duden dichten", mit der sich Nosch seit Jahren beschäftigt. Hier tritt zur Welt der Objekte, der Materialität und der Zeichen auch noch das Element der Sprache hinzu. Präsentiert werden wieder Dinge, die der Atelierorganismus ausgespuckt hat. Doch diesmal werden sie nicht in Reihen oder rhythmischen Abfolgen angeordnet, sodass sie Schriftzügen oder Musikpartituren zu ergeben scheinen, sondern sie werden einzeln betrachtet und mit Schrift versehen. Kleine Objekte in kleinen Schachteln mit kleinen Zetteln und das Ganze noch hinter einer Glasscheibe, da geht dem Museumsmenschen natürlich das Herz auf. Jedes Artefakt erhält einen eigenen definierten Raum und wird mit einer Karte versehen, die dem Betrachter das jeweilige Objekt erklärt. Und getreu dem Titel "Duden dichten" werden Etymologie, Genus, Wortbedeutung sowie die Genitiv- und Pluralendung gleich einem Dudeneintrag aufgeschlüsselt und führen die Betrachtenden in neue Ding- und Sprachwelten. So trifft man hier auf das Getüm, das Malmal, das Stülpmal, den Seelsam und andere Wunderdinge, die sie nachher selbst erkunden können.
Doch hat der Künstler hier nichts erfunden. Dadurch, dass er ihre Eigenheiten erkannt, beschrieben und sie für die Menschheit gesichert hat, existieren all diese Dinge nun tatsächlich und haben auch schon immer existiert.
Die neuesten Arbeiten in dieser Ausstellung sind jene, die ihr auch den Titel gegeben haben. Papierarbeiten, die auf den ersten Blick an Partituren moderner Musikstücke erinnern können. Damit sind wir wieder bei "Musik für Einstein" angelangt. Doch diesmal ohne Albert und Alfred. Ein Freund des Künstlers hat, so die Legende, beim Anblick dieser Arbeiten spontan den Ausspruch "Musik für Einstein" fallen lassen. Und dass einem Menschen, der von Zeichen, Schriften, Ordnungen und Systemen begeistert ist, das gefallen hat, kann man gut verstehen. Denn hier treffen zwei große Systeme zusammen, die man wiederum auf vielfältigen Pfaden erkunden kann.
Der Kosmos der Musik, die man sowohl hören wie auch spielen, schreiben wie auch lesen kann, trifft auf die Welt der Physik, nach deren Regeln sich die Dinge um uns herum verhalten und deren Gesetzmäßigkeiten wir wiederum mit Zeichen und Formeln, Bildern und Texten beschreiben und erklären können. Und jetzt kommt doch noch einmal Albert Einstein: Wenn der große Physiker nämlich bei seinen Forschungen nicht weiterkam, dann holte er seine Geige raus und nicht selten löste sich dann der Knoten und die Welt war um eine Einsicht reicher.
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im Katalog »Szenenwechsel 2003/04«
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