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ZDENEK PRIMUS
Im Staub des Ateliers gefunden



Überall liegt es herum: auf dem Boden, auf und unter dem Tisch, rund um die Farbendosen, da, wo die Pinsel ruhen, als Kruste an den Behältern, sogar im Mülleimer. Natürlich ist des Künstlers Mülleimer nicht der, den wir Normalsterblichen zu Hause haben. Denn im Atelier des Künstlers gibt es z. B. einen zerbrochenen Pinsel, womit er selbst womöglich ein Meisterwerk gemalt hat, doch in der Heftigkeit des Entstehungsprozesses sein physisches Medium überstrapazierte. In einem echten Maler-Atelier gibt es überall Erstaunliches.

Halt – könnte es sein, dass wir uns mit diesem Gedanken im romantischen Geist des 19. Jahrhunderts befinden? Ist überhaupt erlaubt, an das Schöne an sich und "das Magische" des Entstehungsprozesses zu glauben? Wird man nicht vor ein Tribunal aus lauten Gerne-Zyniker gezerrt? Oh ja, da würde ich mich gerne selbst verteidigen!
Doch damals, im 19. Jahrhundert, befand man alles, womit man Kunst machte als ein Nichts, denn die Kunst kam vom Künstler und nicht etwa von dem meist sogar bereits benutzten und im Übrigen sowieso geistlosen Material.

Mit einem Künstler, auch wenn es der überaus analytische, aber in der künstlerischen Arbeit zuweilen auch romantische Nosch ist, muss man um jedes Wort kämpfen. Sind diese reizvollen Teile in den schwarzen Boxen nun Fundkunststücke? "Nein!" sagt er, "Drei Wörter in einem, das geht nicht!" Man versucht es, in die eigene Idee verliebt, noch einmal: "Sind es etwa Kunstfundstücke?" "Alles zu lang, es sind einfach Fundstücke aus dem Atelier!" Nicht vielleicht gefundene Kunststücke, frage ich unermüdlich, denn im Atelier herrscht doch Ordnung und Chaos und daraus bekanntlich entsteht freilich die Kunst.
"Vielleicht in anderen Ateliers, nicht in meinem! Und überhaupt, wo ist das Schöne?"
Ist der schwierig, denke ich mir. Aber gleich verstehe ich auch warum, ich bin doch in seinem Atelier und nicht bei mir zu Hause am Arbeitstisch.





Wie hat es der gute Kurt Schwitters gesagt: "Alles, was der Künstler ausspuckt, ist Kunst." Das ist wohl wahr, leider halten sich so viele Leute heutzutage für Künstler, dass wir uns unaufhörlich im Spuckeimer befinden, wenn wir Kunst sehen wollen und daran ist wohl auch der gute Joseph Beuys mit seinem "Jeder Mensch ist ein Künstler" beteiligt. Verdammt noch mal, können die Größen der Kunst nicht besser auf ihr Maul aufpassen!?

Wahr ist jedenfalls, dass diese kleinen Arbeiten als Abfallprodukt entstanden sind, womit sich Nosch in eine Reihe von Künstlerkollegen stellt, die z. B. Buchumschläge entworfen haben und sie zunächst gar nicht als Kunst verstanden, was allerdings verschiedene Kunstliebhabern nicht daran hinderte, diese als Kunstwerke anzusehen.

Doch jetzt brav zurück zu den kleinen Werken, von Nosch persönlich als Besonderheiten aus seinem Atelier zu neuem Leben erweckt, zurück zu den Kunststücken, die jetzt ordentlich in kleinen Boxen ruhen und warten, bis diese aufgemacht werden, um das Auge des Kunstliebhabers zu erfreuen. Und das tun diese Kunststücke wahrhaftig. Nicht weil sie an Kunstwerken beteiligt waren, nein; auch nicht, weil sie der Künstler berührt hat, so viel Romantik verträgt man heutzutage nicht mehr. Sondern, weil sie gefunden und ausgewählt wurden und in ihren Behältern ruhend die große Schönheit kleiner Dinge entfalten, nicht anders wie große Kunstwerke auf der Wand.

Zdenek Primus, Prag, April 2015


> René Zechlin Einführung zu Poetische Systeme in der
Galerie Marianne Heller, Heidelberg, 10. März 2024

> Dr. Tobias Güthner Einführung Ausstellung Nosch am 8.7.2023

> Rasmus Kleine zur Ausstellung »Dinge lesen«

> Maresa Bucher Choreographie der Farbe

> Nosch – Poetische Systeme 1 – 3

Zdenek Primus Im Staub des Ateliers gefunden:
Kunststücke; 2015

> Dr. Ilona Víchová The Process is the Message
in the catalog to the exhibition “Nosch—paintings and works on paper”, brno–gallery; 2011

> Dr. Frank Schmidt Nosch – Transparenz der Farbe
im Katalog »Szenenwechsel 2003/04 «
Museum für Konkrete Kunst, Ingolstadt


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